DLR: Wissenschaftler entwickeln Zug-zu-Zug-Kommunikation für das dynamische Flügeln von Zügen

DLR bei Messfahrten in Italien (Foto: © DLR)
DLR bei Messfahrten in Italien (Foto: © DLR)

Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) arbeiten an einer Zug-zu-Zug-Kommunikation, die es möglich machen soll, Züge in Zukunft während der Fahrt zu verbinden und wieder zu trennen.


Bei einer Messkampagne in Italien vermaß das DLR die Übertragungseigenschaften zwischen einzelnen Wagen von Hochgeschwindigkeitszügen und ganzen Zugformationen, um damit Systeme entwickeln zu können, die eine zuverlässige Kommunikation ermöglichen. Solche Systeme werden gebraucht, damit sich Wagen und Züge in Zukunft selbstständig zu längeren Zügen während der Fahrt verbinden und bei Bedarf wieder trennen können. Dieses Verfahren wird „dynamisches Flügeln“ oder „virtual coupling“ genannt.

Beim dynamischen Flügeln sind die Züge nicht physisch, sondern nur über einen drahtlosen Kommunikationslink verbunden. Der Vorteil ist, dass Passagiere vielfach ohne umzusteigen, Ihr Ziel in kürzerer Zeit erreichen können. Zudem kann die Kapazität der Strecken erhöht werden, ohne dass Änderungen an der Gleisinfrastruktur vorgenommen werden müssen. Um verschiedene Szenarien untersuchen zu können, bauten die Forscher im gesamten Zug Kommunikations- und Navigationstechnologie ein. Für die Messungen zum dynamischen Flügeln brachten die DLR-Wissenschaftler beispielsweise gerichtete Antennen an der Spitze des Zuges, der sogenannten Zugnase, an.

Nachtfahrten zwischen Neapel und Rom

Um ihre Messungen ausführen zu können, stellte die italienische Zuggesellschaft Trenitalia den Wissenschaftlern des DLR in den Nächten vom 15. bis zum 19. April zwei Hochgeschwindigkeitszüge zur Verfügung. Mit diesen konnten die Forscher verschiedene Szenarien und Manöver abfahren und so die Übertragungseigenschaften zwischen und innerhalb der Züge untersuchen.

Dr. Stephan Sand, Leiter der Gruppe Landverkehr am Institut für Kommunikation und Navigation, freut sich über die Möglichkeit, die am Institut entwickelten Systeme zusammen mit dem Partner Trenitalia erstmals in Hochgeschwindigkeitszügen zu testen und Messungen durchzuführen: „Die Strecke zwischen Neapel und Rom ist dafür besonders geeignet, denn dort haben wir sowohl die Möglichkeit Messungen im urbanen Raum bei langsamer Fahrt durchzuführen, als auch zu zeigen, dass unsere Systeme auf einer Hochgeschwindigkeitsstrecke zuverlässig funktionieren.“

Die Vorbereitungen starteten jeweils am späten Abend, da nachts die Gleise für die Messfahrten frei sind und die Züge tagsüber wieder für den öffentlichen Personenverkehr zur Verfügung stehen müssen.

Mit an Bord: Kollisionsvermeidungssystem RCAS

Für die Zug-zu-Zug-Kommunikation war das Railway Collision Avoidance-System (RCAS) mit an Bord. Diese vom DLR entwickelte Kommunikations- und Ortungseinheit sendet in Echtzeit Informationen über Position, geplante Streckenführung, Geschwindigkeit und Bremsvermögen an alle Züge der näheren Umgebung und hilft so dabei, potenzielle Konfliktsituationen zu identifizieren. Das System wurde bereits in Kooperation mit der Bayerischen Oberlandbahn (BOB) in Regionalzügen erfolgreich getestet. In Italien konnte sich die Messeinheit jetzt auch erstmals bei Hochgeschwindigkeitszügen beweisen.

Kabellose Kommunikation zwischen Waggons

Die DLR-Forscher arbeiteten auch daran, den Informationsaustausch zwischen den einzelnen Waggons der Züge zu modernisieren. Statt einer kabelbasierten Verbindung durch die komplette Länge des Zuges, wie es momentan die Regel ist, installierten die Wissenschaftler für ihre Testfahrten Antennen auf den Dächern der Waggons. Diese Antennen übertrugen die Informationen von einem Waggon auf den anderen, über die Waggondächer hinweg. Die Modernisierung des Informationsaustauschs zwischen den einzelnen Waggons ist insbesondere für Funktionen des Train Control Monitoring Systems (TCMS) von Interesse. Das TCMS steuert und regelt verschiedene sicherheitskritische Funktionen, die nötig sind, um eine sichere Bedienung des Zuges und eine sichere Bewegung von Personen und Gütern zu garantieren.

Die kabellose Übertragung bietet auch in puncto Wartung und Sicherheit enorme Vorteile: Mit einer Informationsübertragung durch Antennen kann bei Störungen in der Waggon-zu-Waggon-Kommunikation der umständliche und kostenintensive Austausch der Kabel extrem vereinfacht werden.

DLR-Messkampagnenleiter Paul Unterhuber erläutert: „Für eine kabellose Verbindung ist es essentiell, dass das System genauso zuverlässig funktioniert, wie es auch über Kabel möglich ist. Wenn wir einen Teil der Kommunikation auf das Dach verlegen möchten, benötigen wir ein umfassendes Verständnis über die Ausbreitung von Funkwellen in dieser Konfiguration.“

Mit den Messungen in Italien konnten die Forscher dazu erste Grundlagen schaffen. Um den Funkkanal charakterisieren zu können, fuhren die Wissenschaftler während der vier Nächte mit zwei Hochgeschwindigkeitszügen Szenarien in verschiedenen Geschwindigkeiten sowie diverse Überhol- und Gegenfahr-Manövern ab. Mit den Ergebnissen der Messung sind sie in der Lage, Vorhersagen darüber aufzustellen, wie eine bestimmte Umgebung ein Übertragungssignal beeinflusst. Wenn die wesentlichen Eigenschaften des Übertragungskanals erfasst sind, können darauf basierend neue, sicherheitsrelevante Kommunikationssysteme entwickelt werden. Dabei untersuchte das Team um Paul Unterhuber und Stephan Sand die Ausbreitungsbedingungen der Funkwellen in einer realistischen Umgebung.

„Mit diesen Messungen und unseren Voruntersuchungen zum dynamischen Flügeln erhoffen wir uns, den Informationsaustausch in und zwischen Zügen erheblich zu verbessern. Unser Ziel ist es auch, eine bessere Auslastung der Gleise zu gewährleisten“, sagt Stephan Sand.

Roll2Rail

Die Messungen in Italien wurden im Kontext des EU-Projekts Roll2Rail durchgeführt. Bei Roll2Rail handelt sich um ein Leuchtturmprojekt aus der Shift2Rail-Initiative. 31 europäische Partner arbeiten daran, Schlüsseltechnologien zu entwickeln und die Zuverlässigkeit im Bereich Zugverkehr zu erhöhen sowie Kosten zu senken. Das Projekt wird von dem Horizon 2020 Programm der Europäischen Union gefördert und ist eng mit dem DLR-Projekt Next Generation Train verbunden.


(red/DLR)

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