Vorstandsmitglied der Osning-Bahn kritisiert: An Bahnübergängen trifft die Sicherheitsphilosophie der Eisenbahn auf Schludrigkeit im Straßenverkehr

Nach dem Unfall am Bahnübergang am 15. Mai 2016. Hier starben zwei Menschen, ein weiterer wurde schwer verletzt. (Screenshot: YouTube / Wolfgang Wotke)
Nach dem Unfall am Bahnübergang am 15. Mai 2016. Hier starben zwei Menschen, ein weiterer wurde schwer verletzt. (Screenshot: YouTube / Wolfgang Wotke)

Der schwere Unfall vom Pfingstsonntag, bei dem ein Ausflugszug der Osning-Bahn und ein PKW an einem Bahnübergang zusammenprallten (Bahnblogstelle berichtete), hat eine rege Diskussion um die Sicherheit vom Schienen- und Straßenverkehr hervorgerufen.


Stephan Schröder, Vorstandsmitglied der Osning-Bahn e.V., kritisiert in einem offenen Schreiben die verfehlte Verkehrspolitik in Fragen der Sicherheit. Wie die Osning-Bahn mitteilt, gebe der Kommentar die persönliche Meinung des Autors wieder und ist keine offizielle Stellungnahme des Vereins.

Das Schreiben im Wortlaut:

„Seit zwei Jahren fahren wir regelmäßig mit unserem Schienenbus zwischen Gütersloh und Bad Laer. Eine schöne Strecke, die wir und unsere Fahrgäste mögen. Doch zuweilen schwang auch ein ungutes Gefühl mit. Wie häufig haben wir schon Autofahrer, die uns trotz Pfeifen oder blinkender Warnlichter offenbar nicht wahrgenommen haben, im letzten Moment an einem Bahnübergang eine Vollbremsung machen sehen. Auch am Blankenhagener Weg. Mehrmals konnten wir selbst mit Vollbremsungen einen Zusammenprall verhindern. Situationen, die Unverständnis und Wut beim Zugpersonal erzeugen wegen einer unnötigen Gefährdung, der wir bei unserer ehrenamtlichen Tätigkeit, mit der wir unseren Fahrgästen eine Freude machen wollen, ausgesetzt sind.

Am Pfingstsonntag dann der Unfall. Ungebremst, für den Lokführer erst im letzten Moment zu sehen, rast jemand mit einem Auto genau vor den Zug. Sekunden früher – nichts wäre passiert. Sekunden später – neben den Fahrzeuginsassen wären auch Fahrgäste oder Zugpersonal zu Schaden gekommen. Ein Unfall, der nie hätte passieren können, hätte sich der Autofahrer an eine einfache Regel gehalten: Rot bedeutet Halt. Und nun: Zwei Tote, ein schwerverletzter junger Mann, der neben vielleicht lebenslang anhaltenden körperlichen Schäden damit leben muss, seine Eltern getötet zu haben, ein geschockter Lokführer, verunsichertes Zugpersonal und Fahrgäste, denen Zweifel kommen könnten, ob man mit einem Zug noch diese Strecke befahren soll.

Wir bekamen in den letzten Tagen viel Unterstützung: Anteilnahme, Besserungswünsche für den Lokführer. Das Mitleid mit den Autoinsassen hielt sich in Grenzen. Schließlich hat jemand, gelinde gesagt, grob fahrlässig gehandelt, rechtlich gesehen eine Straftat begangen – einen gefährlichen Eingriff in den Bahnverkehr.

Vielleicht aber machen wir uns die Beurteilung zu einfach. Warum passieren solche Unfälle immer wieder – noch im März an der gleichen Stelle, als eine Frau mit ihrem Auto vor eine Diesellok fuhr? Sollte man nicht erwarten, dass solche Ereignisse zum Nachdenken führen? Aufpassen, bei Rotlicht kommt tatsächlich ein Zug, er hat Vorrang und ist deutlich stabiler gebaut als jedes Auto! Die Unfallstatistik spricht eine andere Sprache.

Doch der Unfallfahrer ist nicht nur Täter geworden, sondern auch Opfer einer seit Jahrzehnten geförderten Ideologie, in der Autoverkehr über alles geht und um jeden Preis zu fördern ist – auch auf Kosten der Sicherheit. Die Eisenbahn wird an den Rand gedrängt und nicht beachtet, nicht nur an Bahnübergängen. 

Menschliches Handeln ist fehlerbehaftet

Wer Fehler macht, macht auch gefährliche Fehler. Bei der Bahn versucht man deren Auswirkungen durch technische Maßnahmen zu verhindern, fast immer erfolgreich. In Firmen gibt es ein Sicherheitsmanagement, dass Arbeitsabläufe hinsichtlich ihrer Sicherheit überprüft und verbessert. Wir Eisenbahner haben zweimal jährlich verpflichtende Fortbildungen, Bahnübergänge sind ein Dauerthema dabei. Weiterhin gibt es Simulatortraining und Gesundheitstests. Und im Straßenverkehr? Einmal die Führerscheinprüfung bestanden, gilt der „Lappen“ lebenslang. Fortbildung, Gesundheitschecks – nur als freiwilliges Angebot. Und das, obwohl der Straßenverkehr systembedingt unsicherer ist als der Eisenbahnverkehr. An Bahnübergängen trifft die Eisenbahn mit ihrer sehr ausgeprägten Sicherheitsphilosophie auf Schludrigkeit im Straßenverkehr, wo Lobbyisten die Mär vom jederzeit verfügbaren Auto verbreiten. Sicherheitsmaßnahmen stören nur die „Freie Fahrt für freie Bürger“. Unfälle wie dieser werden billigend in Kauf genommen. Im Laufe seines Lebens wird statistisch jeder Dritte Opfer eines Unfalls im Straßenverkehr. Irgendwann gewöhnt man sich daran und Unfälle werden zu Randnotizen in den Medien. Außer die Eisenbahn ist involviert – dann wird sie zum Sündenbock. Dann „rasen“ Züge auf einen Bahnübergang und „erfassen“ dort Fahrzeuge – als kämen böse Monster mit Greifarmen, die unschuldige Autos und ihre Insassen attackieren. Nein, es ist umgekehrt: Die Züge und ihre Insassen werden Opfer unverantwortlichen Handelns seitens der Autofahrer! 

Der Unfallfahrer vom Pfingstsonntag wird sich den Gefahren nicht bewusst gewesen sein – jetzt kennt er sie. Hätte er eine entsprechende Fortbildung gehabt, bei der auf die Gefahren hingewiesen wird und wäre ihm klar gewesen, dass er für seine Mitfahrer die volle Verantwortung trägt, wäre er wohl anders gefahren. Die wahren Schuldigen für diesen und viele andere unnötige Unfälle sind in den Büroetagen der Autolobby zu suchen. 

Wie geht es weiter?

Für uns stehen im Juni zwei Fahrtage an. Unser Personal ist unsicher, ob es in dieser Situation fahren möchte. Muss man fahren, um ein Zeichen zu setzen, dass es weitergeht? Soll man besser nicht? Es wird darauf ankommen, welche Reaktionen – Zuspruch oder Ablehnung – wir in nächster Zeit erfahren. Es ist zu wünschen, dass dieser Unfall aufrüttelt, zum Nachdenken bringt und Änderungen bewirkt. Dabei geht es nicht nur um eine Schrankenanlage am Blankenhagener Weg, die wir begrüßen würden. Es geht um ein bessere Fortbildung im Straßenverkehr, damit jeder versteht, dass ein Auto nicht nur „Freude am Fahren“ bringt, sondern dem Fahrer auch eine hohe Verantwortung auferlegt – das muss er wissen und entsprechend handeln. Wer dies nicht versteht, darf keinen Führerschein besitzen. Es geht auch um einen anderen Stellenwert der Eisenbahn in den Köpfen und mehr Wissen, wie man mit ihr umgehen sollte, nicht nur an Bahnübergängen. Wir vermitteln dieses Wissen an Vereinsmitglieder und Fahrgäste, es muss zur Allgemeinbildung gehören. Schließlich kann jeder durch eigenes Handeln, wozu auch die Aufklärung anderer gehört, dazu beitragen, dass wir solche Unfälle nicht mehr erleben müssen. 

Vielleicht finden der Unfallfahrer und seine Angehörigen die Kraft, sich in diesem Sinne für mehr Sicherheit im Straßenverkehr einzusetzen, andere zu warnen und zu sensibilisieren. Dann hätte dieser Unfall zumindest irgendetwas Sinnvolles bewirkt. Wir würden sie darin unterstützen.“


(red/Osning-Bahn)

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