Ehrlich und ungeschönt: Bahnvorstand richtet sich mit Brief an Führungskräfte des Konzerns

Der Bahnvorstand hat sich am vergangenen Freitag in einem Schreiben an die Führungskräfte des Unternehmens gewandt und zeichnet dort ein ernstes, aber auch hoffnungsvolles Bild, in welcher Situation sich der Konzern derzeit befindet.


Die schwierige Situation der Deutschen Bahn habe sich „in den letzten drei Monaten nicht verbessert, sondern verschlechtert. Da gibt es leider nichts zu beschönigen“, heißt es im Schreiben an die Führungskräfte des Staatskonzerns. Und weiter: „Wir wissen alle, dass wir mit unserer Leistung nicht zufrieden sein können. Das gilt gleichermaßen für Wirtschaftlichkeit, Qualität und Pünktlichkeit.“ Die Bahn-Manager sprechen die eigenen Leistungen, die verfehlten Ziele und auch die zukünftigen Hoffnungen an.

© Deutsche Bahn

Der Brief, der vom Handelsblatt veröffentlicht wurde, ist eine ehrliche Analyse und ein Aufruf an alle Führungskräfte des Konzerns, dass man nun zusammenrücken müsse um den Systemverbund Bahn wieder auf Kurs zu bringen. Unterzeichnet wurde der vierseitige Brief vom Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bahn AG, Richard Lutz, und seinen Vorstandskollegen Ronald Pofalla, Berthold Huber, Alexander Doll, Sabina Jeschke und Martin Seiler.

Das Schreiben des Bahnvorstands vom 7. September 2018 in den wichtigsten Auszügen:

Die Pünktlichkeit

„Die Trendwende bei der Pünktlichkeit, die wir alle uns für das zweite Halbjahr vorgenommen hatten, haben wir nicht geschafft.“ Die Pünktlichkeit beim Fernverkehr sei weiter abgerutscht und liege per August mittlerweile bei unter 76 Prozent. „Damit ist sie schlechter als 2015, als wir mit Zukunft Bahn gestartet sind. Aufgrund der fortgeschrittenen Zeit ist außerdem klar, dass wir 2018 weder die Vorjahreswerte und schon gar nicht unser Ziel erreichen werden.“ Das sei ärgerlich, so der Konzernvorstand. Natürlich habe auch die Hitzewelle der letzten Wochen ihren Einfluss gehabt. Aber: Zu einer ehrlichen Bestandsaufnahme gehöre auch, „dass wir unsere eigenen Themen wie z.B. die Fahrzeugverfügbarkeit schlicht nicht im Griff haben.“

Die Finanzen

„Unser operatives Ergebnis EBIT liegt auch per Juli deutlich unter Vorjahr und weit weg von unserer Zielsetzung.“ Auch hier habe man keine Trendwende geschafft. „Die Einzelmonate Juni und Juli waren schlecht und die negative Abweichung zum Plan hat sich auf mittlerweile 160 Mio. Euro vergrößert.“ Das Ergebnisziel für das Gesamtjahr 2018 habe der Konzern bereits in zwei Schritten auf 2,1 Mrd. Euro zurücknehmen müssen. „Damit liegen wir weit weg vom Plan und zwischenzeitlich auch unterhalb Vorjahr.“ Wenn sich der Trend aus den letzten beiden Monaten fortsetze und „wir die aktuellen Indikationen aus den Geschäftsfeldern ernst nehmen, steht auch das auf 2,1 Mrd. Euro reduzierte Ergebnisziel im Risiko.“

Die Ausgabensteuerung

Um das reduzierte Ergebnisziel von 2,1 Mrd. Euro abzusichern, habe der Vorstand eine qualifizierte Ausgabensteuerung für den Systemverbund Bahn beschlossen – die Konzernleitung eingeschlossen. Diese Ausgabensteuerung gilt „ab sofort“, „bis auf Weiteres“ und sei unbefristet. Die beschlossene „qualifizierte“ Ausgabensteuerung bedeute, dass sinnvolle und notwendige Ausgaben für den laufenden Betrieb und für alle Anstrengungen, die im Sinne der Kunden, der Qualität, der Pünktlichkeit und der Zuverlässigkeit unternommen werden, weiterlaufen. Das gelte auch für die Rekrutierungsoffensive, gerade bei betrieblichen Engpassberufen, die dringend benötigt werden.

Die Unternehmensführung habe allen Grund, manche Kostenentwicklungen kritisch zu hinterfragen. „Allein im Overheadbereich des Systemverbunds hat sich der Kostenblock seit 2015 um einen deutlichen dreistelligen Millionenbetrag erhöht.“ Diese Kostendynamik müsse wieder zurückgeführt werden. „Und wir sind uns sicher, dass dadurch weder Kundenzufriedenheit noch Produktqualität leiden werden. Im Gegenteil: Wir glauben, dass wir dadurch auch eine Reihe von Aktivitäten abstellen, deren Wirkung im Vergleich zum Aufwand überschaubar bleibt.“

Drei Punkte, auf die der Vorstand besonders hinweisen möchte

Erstens:

Der Vorstand weist daraufhin, dass sowohl die Konzernspitze als auch die Führungskräfte „eine Verantwortung für die wirtschaftliche Stabilität“ des gesamten Unternehmens haben. „Und wenn es keine andere Maßnahme gibt, um Ergebnis und Liquidität auf kurze Sicht zusätzlich zu sichern, dann müssen wir jetzt die notwendigen Entscheidungen treffen.“ Zudem sei jetzt „nicht die Zeit für gegenseitige Schuldzuweisungen und fruchtlose Gerechtigkeitsdebatten.“ Das bringe den Konzern nicht weiter. Man sitze gemeinsam in einem Boot. Deshalb müssten jetzt alle zusammenstehen und gemeinsam kämpfen. „Die Eisenbahn in Deutschland hat es verdient, dass wir einen solchen Kraftakt erfolgreich stemmen. Das sind wir nicht nur unseren Kunden, sondern auch unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern schuldig.“

Zweitens:

Die aktuelle Situation zeige, wie breit und tief die operativen Schwächen seien und wie grundlegend sich die DB verändern müsse, um die notwendige Leistungsfähigkeit im Sinne der Kunden zu erreichen. Auf kurze Sicht und in der aktuellen Situation müsse man noch stärker priorisieren, worauf es wirklich ankomme.

Drittens:

Die geschäftsfeldübergreifende Zusammenarbeit sei nach wie vor „unbefriedigend“ und „einer der Gründe, warum wir in der Performance abrutschen.“ Daher soll die operative Steuerung und Führung des Systemverbunds in Zukunft stärker aus dem Konzernvorstand heraus erfolgen. Bei allen Themen gehe es jetzt um Klarheit und Ehrlichkeit. „Wenn wir unsere Defizite nicht klar benennen, werden wir sie auch nicht lösen. Bei der bloßen Problembeschreibung darf es nicht bleiben.“

Hoffnung durch Mut und Entschlossenheit

Das Unternehmen sei ohne Frage in einer schwierigen Lage. „Aber wenn wir uns offen und ehrlich mit unseren Defiziten auseinandersetzen, und wenn wir die notwendigen Maßnahmen diszipliniert, konsequent und gemeinsam angehen, dann werden wir auch diese schwierige Situation überwinden und den Weg in eine erfolgreiche Zukunft gestalten.“ Davon zeigt sich der Bahnvorstand überzeugt. „Der Systemverbund hat eine große Zukunft, die dann Realität werden wird, wenn wir anfangen, im ‚Hier und Jetzt‘ zu ‚liefern‘!“ Die dafür notwendige Transformation werde länger dauern als gedacht. „Aber es ist unsere gemeinsame Verantwortung, diese Transformation erfolgreich zu machen. Dazu brauchen wir Mut und Entschlossenheit in der Umsetzung.“ Die Konzernleitung um Richard Lutz fordert vor allem „Geschlossenheit in der Führungsmannschaft“. Das sei nötig, um den zukünftigen Weg gemeinsam zu gehen. Der Brief endet mit einem deutlichen Appell: „Lassen Sie uns alle zusammenrücken und den Systemverbund Bahn wieder auf Kurs bringen!“


red – aktualisiert

Titelfoto: © Deutsche Bahn