Hundertmark: „Bringen Zukunftstechnologien in das System Bahn“

Die Leiterin des Digitalen Bahnbetriebs bei der Deutschen Bahn, Annika Hundertmark, erklärte kürzlich in einem DB-Podcast, auf welche Technologien die Bahn setzen will, um das Gesamtsystem effizienter zu machen. Zudem verriet sie, welche Rolle die Themen Systemarchitektur, 5G und hochautomatisiertes Fahren beim Projekt „Digitale Schiene Deutschland“ spielen.


Dr. Annika Hundertmark, Leiterin Digitalisierung Bahnbetrieb bei der Deutschen Bahn:

„Wir nutzen die Chancen der Digitalisierung, bringen Zukunftstechnologien in das System Bahn: Beim Fahren von Zügen, beim Umgang mit der Infrastruktur oder beim Management des Verkehrs. Der Einsatz neuer Technologien ist aber natürlich nur eine Seite der Medaille.

Es ist nicht sinnvoll, bestehende Prozesse einfach 1:1 zu digitalisieren. Deshalb gehört der Bereich der Systemarchitektur als wichtiger zweiter großer Baustein auch zu unseren Aufgaben. Wir definieren wie der Bahnbetrieb künftig aussieht und wie die einzelnen Elemente dabei zusammenspielen. Wichtig ist, dass wir immer im Gesamtsystem Bahn denken: Also Fahrzeuge, Infrastruktur und Steuerung gemeinschaftlich betrachten. Und unser Fokus ist am Ende das Herz der Eisenbahn – der künftige täglich laufende Betrieb. Wir sind damit die zweite Ausbaustufe von Digitale Schiene Deutschland.

Grundlage ist und bleibt die digitale Plattform, die mit dem Rollout von ETCS [European Train Control System] und digitalen Stellwerken auf den Weg gebracht wird.“

Auf die Frage nach dem Nutzen und der Notwendigkeit betont Hundertmark die „klaren politischen und gesellschaftlichen Erwartungen“:

„Die Eisenbahn soll im Verkehrsträgermix wieder eine größere Rolle spielen – für Personen- und auch für Güterverkehr. Die Anzahl der Passagiere auf der Schiene soll bis 2030 sogar verdoppelt werden. Dafür müssen und können wir auch einige Voraussetzungen schaffen: Das heißt, wir brauchen mehr Kapazität, mehr Effizienz und mehr Zuverlässigkeit auf der Schiene.

Wir arbeiten daran, dass die Züge sehr viel enger hintereinander her fahren können, im sogenannten Bremswegabstand. Außerdem verbessern wir die Verkehrssteuerung: Das heißt, wann, wo, welcher Zug fährt, mit Hilfe von Methoden der künstlichen Intelligenz. Wenn die Züge dann hochautomatisiert fahren, mit der optimalen Geschwindigkeit, können wir im Endausbau wirklich einen großen Hub bei der Kapazität erreichen.

Zum Thema Effizienz: Insgesamt glauben wir, dass durch den Einsatz neuer Technologien die Anzahl der Elemente die draußen in der Infrastruktur liegen, deutlich reduzieren müssen. Und ab dann wird es ganz einfach. Was nicht da ist, muss nicht gekauft werden, es muss nicht instand gehalten werden und geht nicht kaputt.

Hier einen kurzen Blick auf den Umgang mit Störungen: Wir werden mehr Informationen nutzen können, um Störungen zu verhindern, und wenn Störungen auftreten, glauben wir, dass wir diese deutlich automatisierter bearbeiten können. Das heißt nicht, dass wir sie automatisiert alle lösen können. Klar. Das bedeutet aber, dass wir schneller im Bezug auf die Reaktionszeiten werden können und der Verkehr am Ende schneller wieder normal läuft.“

Um die Zugfolge zu erhöhen, sollen neben den heute eingesetzten Gleisfreimeldeanlagen künftig auch Satellitenortungssysteme und weitere Technologien kombiniert werden, erklärt die Leiterin des Digitalen Bahnbetriebs:

„Um das [Fahren im minimalen Abstand] realisieren zu können, muss gewährleistet sein, dass die Züge kontinuierlich ihre exakte Position in Echtzeit kennen. Wir haben weitere Möglichkeiten mit denen wir diese Satellitenortung kombinieren können. Wir prüfen aktuell, das wir den Zug nach unten und nach vorne schauen lassen. Das Prinzip ist ganz einfach: Jeder Untergrund der Strecke ist anders, jede Strecke ist anders – das heißt, es stehen andere Sachen an der Seite: Strommasten usw. – und das sollte man nutzen. Und wenn man diese Informationen dann in so einer Art digitaler Karte abgleicht, dann weiß man genau, wo sich der Zug befindet.

Extrem wichtig ist auch der Einsatz von intelligenter Software und künstlicher Intelligenz. Es gibt sehr viele Züge auf dem Netz und hoffentlich zukünftig noch mehr Züge, die auf unserem Netz fahren wollen. Die optimale Verteilung dieser Züge ist eine extrem komplexe Aufgabe. Dabei können neuronale Netze und ‚Stat of the Art‘-Lernalgorithmen sehr sehr gut helfen – bei der Echtzeitoptimierung und Konfliktlösung, das ist dann bildlich gesprochen das Gehirn des digitalen Bahnbetriebs.

Natürlich gibt es auch im Kern der Zugbewegung die Fahr-/Bremssteuerung. Fahrzeuge werden mit einem Modul ausgestattet, dass die mechanische Steuerung des Fahrzeugs übernimmt, basierend auf Fahranweisungen die es beispielsweise aus diesem ‚Gehirn‘ bekommt.“

Die Umstellung auf den digitalen Bahnbetrieb sei laut Hundertmark ohne den neuen Mobilfunkstandard 5G nicht zu stemmen:

„Der digitale Bahnbetrieb hat deutlich höhere Anforderungen an die Kommunikation als der heutige Bahnbetrieb – sowohl im Bezug auf Datenraten, Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit, und insbesondere auch Latenz.

Ein Beispiel: In Störungssituationen kann es erforderlich sein, dass sich jemand aus der Ferne auf den Zug aufschaltet. Das erfordert, dass die entsprechenden Video-, Sensor- und Steuerdaten im großen Umfang übertragen werden – überall hin und in Echtzeit. Mit GSM-R, dem System was wir heute einsetzen, ist dies nicht zu machen und auch 4G, LTE, kommt da zu schnell an die Grenzen.“

Ab 2021 soll der erste vollautomatische Zugbetrieb in einem Teilabschnitt des Hamburger S-Bahn-Netzes starten. Umgesetzt wird das Projekt „Digitale S-Bahn Hamburg“ von der DB in Kooperation mit dem Bahntechnikhersteller Siemens, wie Hundertmark weiter ausführt:

„Beim Intelligent Transport System Congress 2021 in Hamburg werden Züge zum ersten Mal in einem S-Bahn-Netz im digitalisierten Betrieb fahren. Auf einer extra dafür ausgerüsteten rund 23 Kilometer langen Strecke zwischen Berliner Tor und Bergedorf bzw. Aumühle rollen dann vier Fahrzeuge der Linie S21 hochautomatisiert. Das heißt, der Triebfahrzeugführer ist weiterhin an Bord, hat eine überwachende Funktion und greift lediglich ein, wenn es eine Störung gibt. Alles andere macht der Zug: Anfahren, Beschleunigen, Bremsen, Halten, und auch die Türen werden selbstständig freigegeben und wieder geschlossen. Außerhalb des digitalisierten Abschnitts steuert der Triebfahrzeugführer dann den Zug natürlich ganz konventionell.

Ein weiterer wichtiger Aspekt den wir dort zeigen ist die vollautomatische Bereitstellungsfahrt. Das heißt, einige S-Bahnen enden regulär in Bergedorf. Dort steigen dann nicht nur die Fahrgäste aus, sondern auch der Triebfahrzeugführer. Und die S-Bahn fährt dann vollautomatisch in die Abstellung. Wenn der Zug wieder eingesetzt wird Richtung Hamburg Hauptbahnhof, rollt dieser Zug dann wieder ohne Personal an Bord an den Bahnsteig und nicht nur die Fahrgäste steigen ein, sondern auch der Triebfahrzeugführer.

Wir sind wirklich sehr weit vorangekommen im Projekt. Aktuell sind die Lastenhefte finalisiert und die Architektur ist erarbeitet. In den Lastenheften ist beschrieben, was genau gemacht werden soll, in der Architektur wiederum ist beschrieben wie das technische System aussieht. Der nächste Schritt ist dann die konkreten technischen Lösungen zu erarbeiten. Dabei wird auf ETCS aufgesetzt und im späteren Frühjahr beginnen wir mit konkreten Vorbereitungen, die Technologie dann in die Fahrzeuge einbauen zu können.

Für uns ist das Projekt Hamburg ein wichtiger Meilenstein für die Umsetzung vom digitalen Bahnbetrieb in ganz Deutschland und natürlich auch extrem wichtig um das Thema anfassbar zu machen, nicht nur für Fachexperten und Besucher vom ITS-Kongress sondern auch für die Hamburger, die diese S-Bahn dann täglich nutzen werden.“

Um die Umgestaltung des Bahnbetriebs auf digitale Prozesse und Technologien realisieren zu können, sei die Zusammenarbeit auf europäischer Ebene extrem wichtig. Hundertmark:

„Die DB will und kann das Thema Digitale Schiene in Deutschland nicht alleine umsetzen – Stichwort: Sektorinitiative. Auf europäischer Ebene ist es prinzipiell das gleiche. Güterzüge sollen ja leichter durch Europa fahren können als heute. Deshalb ist insbesondere die Zusammenarbeit mit den europäischen Betreibern wichtig. Aktuell arbeiten wir sehr eng mit SBB aus der Schweiz und SNCF aus Frankreich zusammen, die ähnliche Programme aufgesetzt haben.

Zusammenarbeit bedeutet für uns an der Stelle, dass wir Arbeiten, die bei uns entstanden sind, auf europäischer Ebene teilen und zur Verfügung stellen. Im Idealfall arbeiten wir dann gemeinsam an der Weiterentwicklung der Themen und können Standards definieren und kommen somit gemeinsam schneller voran.

Wichtig sind auch Kooperationen mit der Industrie. Es macht soviel mehr Sinn, gemeinsam im Rahmen von Projekten neue Technologien im Bahnsektor auszuprobieren, Erfahrungen bei Tests und Implementierung zu sammeln.“

Quelle: Deutsche Bahn


red